Schon seit über einem Jahr wird an unserer Schule Distanzunterricht durchgeführt. Zeitweise durften alle Schülerinnen und Schüler die Schule wieder im Präsenzunterricht besuchen, zeitweise war nur Wechselunterricht angesagt, aber über lange Zeiträume war ausschließlich Distanzunterricht möglich. Im Folgenden ein paar Anmerkungen zu den Erfahrungen aus dieser Zeit.
- In diesem Schuljahr wurden insgesamt 5 interne Fortbildungsveranstaltungen als Pflichtveranstaltungen für das Kollegium angeboten. Thematisch umfassten die Veranstaltungen die Einführung in spezifische Software (z.B. Einführung in Webex, Einführung in BigBlueButton) und zahlreiche Best-Practice-Beispiele aus dem Unterricht von Kolleginnen und Kollegen (z.B. Whiteboards für Feedbackprozesse nutzen, Schnellumfragen zur differenzierten Leistungsmessung). Eine detaillierte Übersicht über die jeweilige Agenda der Fortbildungsveranstaltungen findet sich in den nachstehenden Links.
Fortbildung Webex
Fortbildung BBB
Fortbildung FeedbackSchule
Fortbildung Fernunterricht
Studientag „AAS Goes Digital 4.0“ - Diese Fortbildungsveranstaltungen wurden gestaltet und konzipiert von unserem Team Digitalisierung (Elias Capalbo und Sören Schuck) in Zusammenarbeit mit der Schulleitung. Ohne diese beiden engagierten Kollegen wäre die Durchführung von Fortbildungsveranstaltungen in dieser Qualität nicht möglich gewesen.
- In diesem Zusammenhang war auch wichtig, sich schnell für den Einsatz geeigneter Software zu entscheiden und diese dann zu implementieren. Wir entschieden uns hier für Schul.Cloud als Messenger und für BigBlueButton als Videokonferenzsoftware. Beide Tools sind DSGVO-konform und können deshalb längerfristig genutzt werden (was bei Microsoft Teams nicht garantiert ist). Schul.Cloud ist von der Benutzeroberfläche mit WhatsApp zu vergleichen, was die Akzeptanz bei den Schülerinnen und Schülern erhöht. Was nützt einem die komplexeste Software, wenn die Schülerinnen und Schüler diese nicht nutzen? BigBlueButton bietet mit den Möglichkeiten, auf einfache Art und Weise Gruppenräume erstellen zu können und browserbasiert zu funktionieren, ebenfalls niedrigschwellige Einstiegshürden.
- Beide Tools wurden von den Schülerinnen und Schülern gut angenommen und funktionierten über weite Strecken problemlos. Schwierigkeiten gab es nur zu Zeiten, wo die Server der Systemanbieter sehr stark ausgelastet waren. Das waren aber Ausnahmen.
- Die Einführung des Schulmessengers Schul.Cloud hatte den positiven Nebeneffekt, dass nicht nur die Kommunikation mit den Schülerinnen und Schülern vereinfacht wurde, auch der Austausch von Infos zwischen den Lehrkräften wurde in den zahlreichen Channels erleichtert und intensiviert. Dies führte ab und an auch zu einer Informationsschwemme, so dass man über eine Moderation in wichtigen Channels nachdenken sollte. Auch sollte man auf unnötige Postings an Wochenenden und an Abenden verzichten.
- Gerade in Zeiten des Distanzunterrichts, wo man mit den Schülerinnen und Schülern nur über digitale Wege den Kontakt halten kann und wo vieles einfach „neu“ ist, muss regelmäßig ein Feedback eingeholt werden. Wir nutzen hierfür die App „FeedbackSchule“, die auch im Rahmen einer Fortbildungsveranstaltung im Kollegium eingeführt wurde. Somit stand den Lehrkräften die Möglichkeit offen, Feedback zielgenau zu ihrem eigenen Unterricht einzuholen, die Klassenlehrerinnen und -lehrer konnten Feedback auf Klassenebene einholen und die Schulleitung hatte die Gelegenheit, alle Schülerinnen und Schüler in ihrer Gesamtheit zu befragen. Ein Beispiel aus der Klasse IK18 findet sich im nachstehenden Link. Neben den Befragungen der Schülerinnen und Schüler wurde auch ein Feedback des Kollegiums zum Distanz- und Wechselunterricht eingeholt.
Feedbackergebnisse IK18 - Im Rahmen der schulweiten Feedbacks der Schülerinnen und Schüler fällt vor allem ins Auge, dass die Schülerinnen und Schüler den Einsatz eines Videotools fordern und mit dem bloßen Versenden von Aufgaben und Musterlösungen über Schul.Cloud nicht zufrieden sind. Scharf kritisiert wird von den Schülerinnen und Schülern vor allem, wenn keine Rückmeldungen und Erläuterungen der Lehrkräfte kommen.
- Solche Rückmeldungen betreffen unser Kerngeschäft, den Unterricht, und sind deshalb von großer Bedeutung. Auch ein weiterer Gesichtspunkt ist hierbei interessant: Der Unterricht ist ein wichtiger Bestandteil der internen Öffentlichkeitsarbeit in der Schule. Getreu dem Grundsatz „Public Relations begins at home“. Wenn der Unterricht von den Schülerinnen und Schülern nicht als guter Unterricht wahrgenommen wird, kann die externe Öffentlichkeitsarbeit einer Schule noch so gut sein, sie wird ins Leere laufen. Die Mundpropaganda ist wichtiger als eine gepflegte Schul-Webseite oder Anzeigen in Zeitungen.
- Natürlich gab es auch Probleme, die an der digitalen Ausstattung der Schülerinnen und Schüler festzumachen sind. So war zum Teil die private WLAN-Verbindung instabil oder nur ein Handy vorhanden. Konsequenzen waren, dass Schülerinnen und Schülern ab und zu aus den BigBlueButton-Konferenzen rausflogen. Auch ist es natürlich nicht optimal, auf dem Handy Konferenzen zu verfolgen und PowerPoint-Folien oder Wordtexte erstellen zu müssen. Zum Teil konnte die Schule in manchen Fällen durch Leihgeräte (Laptops und IPads) unterstützen, nachdem diese vom Schulträger zur Verfügung gestellt wurden.
- Meine persönliche Erfahrung aus dem durchgeführten Distanzunterricht in den IK- und HBF-Klassen fällt insgesamt positiv aus. Natürlich ist die Arbeitsbelastung enorm. Man muss viele Materialien digitalisieren, zumal es häufig auch nicht ausreicht, diese nur einfach abzufotografieren und einzulesen. Der komplette Unterricht muss didaktisch neu auf BigBlueButton und Schul.Cloud hin konzipiert werden. Hinzu kommt, dass man auch das entsprechende Know-How und die entsprechenden Skills haben sollte, um die benutzte Software und ihre Möglichkeiten adäquat einsetzen zu können. In meinem Fall war das in erster Linie folgende Software: Office365 (Word, PowerPoint, Excel), Small-Pdf, Mindmeister, Kahoot, Padlet, Canva und das Whiteboard von Windows. Von Vorteil für mich war es zudem, ordentliche Hardware nutzen zu können: Einen Desktop-Computer mit entsprechend großem Bildschirm, ein sehr gutes Headset und auch gute Eingabegeräte (Keyboard und Maus). Mit einem solchen Equipment macht es definitiv mehr Spaß als am Laptop oder am Tablet. Eine große Hilfe war auch das XP-PEN Grafiktablett, mit dem das Schreiben auf dem Whiteboard flüssig möglich war.
- Es versteht sich von selbst, dass ich sowohl die Hardware als auch Abonnements für die Nutzung der Software größtenteils selbst bezahlt habe. Eigentlich ein unzumutbarer Zustand. Wo bleiben eigentlich die versprochenen Laptops für die Lehrkräfte?
- Mit dem Unterrichtsstoff bin ich schneller vorangekommen als im Präsenzunterricht. Dies lag u.a. daran, dass jegliche Organisations- und Rüstzeiten (Hochfahren des Smartboards und der Laptops im Klassenraum, Wechseln der Klassenräume, Umstellen von Tischen, etc.) weggefallen sind und die digitalen Medien schnellere und exaktere Möglichkeiten der Erklärung und der Veranschaulichung boten. So hat man z.B. immer Zugriff auf das Internet und kann auf Nachfragen Termini und Zusammenhänge nicht nur verbal erläutern, sondern auch Fakten, Diagramme und Beispiele direkt aufrufen. Dies trägt nicht nur zu einem besseren und schnelleren Verständnis bei, auch kann man hierdurch den Schülerinnen und Schülern quasi beiläufig eine gewisse Sensibilität dafür vermitteln, welche Seiten im Internet seriös sind. Zudem kann man auf diese Weise mit ganz aktuellen Beispielen arbeiten, was in Lernfeldern wie z.B. Marketing, elementar wichtig ist und was kein Schulbuch leisten kann.
- Mein persönliches positives Fazit wird allerdings getrübt durch Erfahrungen von Lehrkräften in anderen Klassen. Lehrkräfte, die im BVJ und in BF1-Klassen unterrichteten, berichteten darüber, dass Schülerinnen und Schüler zeitweise nicht zu erreichen waren oder gänzlich ausgestiegen sind. Hinzu kommt die psychische Belastung für die Schülerinnen und Schüler in der augenblicklichen Situation. In einem Feedback schrieb eine Schülerin/ein Schüler: “ Es ist momentan alles zu viel und nicht übersichtlich, meiner Meinung nach wäre es wichtig, über die Situation zu sprechen und nicht nur ums große Thema Corona, sondern auch um die Gefühls- und Bewältigungslage“. Ein weiteres Problem stellen Tätigkeiten dar, die man nur in der praktischen Anwendung im Fachunterricht erlernen kann, z.B. Tätigkeiten im Bereich der Pflege und im Handwerk. Es ist es kaum möglich, diese Tätigkeiten zufriedenstellend im Distanzunterricht zu erlernen. Es bleibt nur die Möglichkeit, Lehrvideos einzusetzen oder Unterricht umzuschichten und auf Wechselunterricht oder Präsenzunterricht zu hoffen.
- Anpassen muss man in diesem Zusammenhang auch Leistungsfeststellungen. Mit großem Zeitaufwand durchführbar sind mündliche Prüfungen über BigBlueButton. Eine weitere Möglichkeit bieten auch schriftliche Leistungsfeststellungen, die man unter Nutzung des Internets durchführen kann. Die Fragen sind so zu konzipieren, dass die Schülerinnen und Schüler Webseiten zur Recherche nutzen dürfen. Weitere Möglichkeiten der Leistungsfeststellung sind Referate per BigBlueButton, Portfolios und Tests mit Kahoot oder eXammi.
- Schließlich hat das vergangene Jahr auch gezeigt, dass im Unterricht oder im Rahmen von Projekten Inhalte angesprochen werden müssen, die bislang in Schulen zu kurz kamen. Damit meine ich unter anderem, dass man Aspekte der Digitalisierung auch kritisch hinterfragt (z.B. die Rolle der Internetgiganten, Manipulation und Fake News in Sozialen Netzwerken, mangelhafte Datensicherheit und mangelnder Datenschutz im Netz, den Einfluss von Lobbygruppen auf Schulen). Daneben muss die Demokratiebildung gestärkt werden. Der Hang zu Verschwörungstheorien ist u.a. begründet in der Sehnsucht nach einfachen Lösungen für komplexe Zusammenhänge, jahrhundertealtem Antisemitismus in neuen Gewändern (QAnon) und entsprechenden Postings von Promis (z.B. Naidoo, Wendler) und Influencern in den Sozialen Netzwerken. Wenn solche und andere wichtige Thematiken (z.B. Umgang mit Rassismus, Klassismus, Ungleichheit oder Fragen des Klimaschutzes) nicht stärker behandelt werden, ist das verantwortungslos und kurzsichtig. Wenn nicht die Schule solche elementaren Dinge anspricht, wer sonst? Zumal mittlerweile eher die Schülerinnen und Schüler Träger des gesellschaftlichen Fortschritts sind, wie man an den Fridays-For-Future-Protesten sehen konnte. Die Universitäten sind seit der Bologna-Reform offensichtlich kein Ort mehr für gesellschaftspolitische Impulse (siehe Spiegel-Artikel: „Die Welt verändern andere“).