Im Rahmen des Deutschunterrichts der Klasse IK 19, einer Berufsschulklasse angehender Industriekauffrauen und -männer, wurde in den jeweils ersten beiden Schulstunden am Montag und Dienstag dieser Woche das Planspiel „Die Welt im Abgrund“ durchgeführt. Das Skript mit den Materialien zum Planspiel kann auf der Webseite der Amadeu-Antonio-Stiftung heruntergeladen werden. Das Spiel ist eigentlich für größere Gruppen (14 bis 24 Teilnehmende) konzipiert, die Klasse IK 19 besteht aus 11 Schülerinnen und Schülern, was jedoch kein großes Problem darstellte.
Ausgangssituation des Planspiels ist ein Weltuntergangsszenario. An insgesamt sieben Stellen in Europa und Nordamerika sind mysteriöse Erdlöcher entstanden. Diese haben u.a. ein Atomkraftwerk stark beschädigt, auch das UN-Hauptquartier in New York wurde komplett vom Erdboden verschluckt. Es wurde deshalb eine provisorische Weltregierung gebildet, die einen Sondergipfel einberufen soll. Dieser Sondergipfel soll eine schlüssige Erklärung der Ereignisse abgeben.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nehmen nun die Rollen als Repräsentantinnen und Repräsentanten verschiedener Länder, eines Baukonzerns, einer Protestbewegung und der Weltregierung ein. Es gibt insgesamt drei Nationalstaaten, die unterschiedliche Gründe für die Ereignisse (z.B. Glaube an Rache spiritueller Kräfte, Glaube an den Plan einer geheimen Elite, Glaube an Wissenschaft und Rationalität) anführen. Hinzu kommt die Protestbewegung, die an eine Wettermanipulation durch Imperialisten glaubt und der Baukonzern, der einen Angriff von Innerirdischen als Erklärung favorisiert. Schließlich leitet die Weltregierung den Sondergipfel und entscheidet über Maßnahmen.
Nachdem die Lehrkraft ins Planspiel eingeführt hatte, lasen sich die Schülerinnen und Schüler in ihre Rollen ein. Nach einem kurzen Eingangsstatement der Weltregierung begann die etwa 50-minütige Recherchephase. In dieser beschäftigten sich die Schülerinnen und Schüler mit den Theorien ihrer Rollen und recherchierten auf Basis der vorgegebenen Links im Internet. Zudem bereiteten sie ihre 5-minütige Präsentation für den Sondergipfel vor.
Auf dem Sondergipfel stellten die einzelnen Gruppen ihre Flipchart-Präsentationen vor. Anschließend wurde eine ca. 15-minütige Diskussionsrunde durchgeführt, die von der Vertreterin der Weltregierung moderiert wurde. Schließlich gab die Vertreterin der Weltregierung ihre Abschlusserklärung bekannt, die ihre weiteren Maßnahmen enthielt. Dies war z.B. die Einrichtung einer wissenschaftlichen Kommission, die die Vorfälle untersuchen soll. Die Kommission soll dabei von einem Kontrollgremium, das sich aus ausgewählten Vertreterinnen und Vertretern der einzelnen Gruppen zusammensetzt, überwacht werden.
Im Anschluss an das Planspiel wurde noch der Zusammenhang zwischen Verschwörungstheorien und Antisemitismus am Beispiel ausgewählter Karikaturen dargestellt. Auch die Vorlage für dieses Modul kann man der Webseite der Amadeu-Antonio-Stiftung entnehmen.
Zum Abschluss dieser Sequenz wurde anhand von Auswertungsfragen eine Reflexion des Planspiels durchgeführt. Die wichtigsten Erkenntnisse dieser Reflexion der Schülerinnen und Schüler:
- Positiv angemerkt wurden die unterschiedlichen und interessanten Rollen. Auch dass von vielen bekannten Verschwörungstheorien typische Elemente enthalten waren, wurde als bereichernd empfunden. Auch bot das Planspiel die Möglichkeit, sich intensiver mit dem Thema zu befassen, weil man sich vorher noch nicht wirklich damit auseinandergesetzt hatte.
- Kritisiert wurden v.a. die zeitlichen Vorgaben in den einzelnen Runden. Obwohl es sich bei der Klasse fast durchgehend um Schülerinnen und Schüler mit Abitur handelte, empfanden sie die zeitlichen Vorgaben als zu knapp bemessen, v.a. in der Recherchephase. Auch die Identifikation mit manchen Verschwörungstheorien fiel einigen schwer, was zur Folge hatte, dass es sehr anstrengend war, die einzelnen Rollen glaubwürdig auszufüllen. Eine Schülerin bemerkte auch, dass sie auf einer der angegebenen „Verschwörungs-Webseiten“ eine Live-Chat-Anfrage bekommen habe, was natürlich etwas creepy ist. Zudem wurde kritisiert, dass das Ergebnis im Grunde genommen schon vorher feststand, weil es ja ziemlich merkwürdig gewesen wäre, wenn die Weltregierung sich für Verschwörungstheoretiker als „Siegergruppe“ entschieden hätte.
- Als Verbesserungsvorschläge führten die Schülerinnen und Schüler an, dass man mehr Zeit für die einzelnen Phasen einräumen sollte. Zudem wünschten sie mehr Infos und Beispielargumente zu den einzelnen Theorien, weil die Internetrecherche und die Vorbereitung auf die Präsentation in der vorgegebenen Zeit sehr herausfordernd sei. An dieser Stelle muss man natürlich anmerken, dass das Planspiel in 2er-Gruppen durchgeführt wurde. In 4er-Gruppen ist die empfohlene Zeitvorgabe durch mehr Rollen bzw. mit Arbeitsteilung wahrscheinlich angemessener.
Aus Lehrersicht würde ich noch vier Punkte ergänzen:
- Meiner Ansicht nach reicht es im Anschluss an das Planspiel nicht aus, nur auf die typischen antisemitischen Karikaturen einzugehen, um die Beziehungen zwischen Antisemitismus und Verschwörungstheorien transparent zu machen. Hier sollte man unbedingt noch die exemplarischen antisemitischen Strukturelemente von Verschwörungstheorien, wie z.B. QAnon, herausarbeiten.
- Auch sollte mit den Schülerinnen und Schülern im Nachgang anhand von anschaulichen Beispielen darüber diskutiert werden, wann es sich um eine Verschwörungstheorie handelt und wann es sich um berechtigte Kritik handelt, etwa am Einfluss von Lobbygruppen usw…
- Wünschenswert ist es auch, ganz aktuelle Bezüge zu den Verschwörungstheorien rund um Corona herzustellen (z.B. Verschwörungstheorien zu Corona)
- Als weitere Hintergrundinfos kann man folgende Bücher empfehlen: „Nichts ist wie es scheint“ von Michael Butter und „Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“ von Katharina Nocun und Pia Lamberty.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass die Durchführung des Planspiels eine interessante Erfahrung war, insbesondere, weil die Schülerinnen und Schüler sehr interessiert und mit großem Engagement teilgenommen haben.
Link zu den Materialien des Planspiels der Amadeu-Antonio-Stiftung